Reform Vertrieb & Finanzierung

Ein effizientes Hintergrundsystem ist Voraussetzung für einen dauerhaft einfachen Tarif.
Es gewährleistet die langfristige Verfügbarkeit des Deutschlandtickets.

1 | Informationen zum Status Quo

Um nachhaltig zu wirtschaften, sollten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage halten. Im öffentlichen Verkehr wird das nur durch den Einsatz von Steuergeld erreicht. Die Ausgaben für die Betriebsleistungen im ÖPNV und SPNV sind nämlich meist höher als die Einnahmen aus Ticketverkäufen. Öffentlicher Verkehr ist entsprechend in aller Regel nicht selbsttragend.

Einnahmen und Ausgaben sollten sich die Waage halten.

Es gibt verschiedene Modelle, den Fehlbetrag zwischen Kosten und Fahrgeldeinnahmen zu decken. Die folgende Grafik zeigt die beiden wesentlichen Verfahren, die in Deutschland angewendet werden.

Bruttovertrag und Nettovertrag im heutigen Finanzierungsmodell.

Im Fall des Bruttovertrags (linke Säule im Schaubild oben) wird das Verkehrsunternehmen als Dienstleister der öffentlichen Hand aufgefasst, dessen Leistungen von der öffentlichen Hand eingekauft und damit vollständig abgegolten werden. Im Fall des Nettovertrags (rechte Säule im Schaubild oben) wird das Verkehrsunternehmen als Unternehmen am Markt betrachtet, dessen Leistungen von der öffentlichen Hand subventioniert und damit nur bezuschusst werden.

Auf die Höhe des Beitrags der öffentlichen Hand hat die Wahl des Finanzierungsmodells - ceteris paribus - keinen Einfluss, er berechnet sich nur anders: Beim Nettovertrag ergibt sich der Beitrag aus dem direkten Zuschuss zu den Fahrgeldeinnahmen; beim Bruttovertrag ergibt sich der Beitrag aus der Differenz zwischen gezahlter Vollfinanzierung an das Verkehrsunternehmen und empfangenen Fahrgeldeinnahmen vom Verkehrsunternehmen.

Da die öffentliche Hand in der Regel Brutto- und Nettoverträge parallel mit mehreren Verkehrsunternehmen unterhält und zudem in Verkehrsverbünden deren beteiligte Verkehrsunternehmen eigene und fremde Fahrkarten (für Fahrten mit dem eigenen und mit fremden Verkehrsunternehmen) verkaufen, wird die Zuordnung der Fahrgeldeinnahmen zur jeweils berechtigten Institution sehr kompliziert. Dafür wurden Einnahmeaufteilungsverfahren (EAV) etabliert. Sie erledigen die Aufteilung der Fahrgeldeinnahmen zwischen den Verkehrsunternehmen untereinander und zwischen Verkehrsunternehmen und öffentlicher Hand in vielen verschiedenen Varianten. Diese Verfahren sind selbst relativ aufwendig und machen die Finanzierungsstruktur des öffentlichen Verkehrs ineffizient.

Die vertragliche Zuordnung der Fahrgeldeinnahmen ist also ein entscheidender Faktor bei den Finanzierungsmodellen. Eine Reform der Finanzierung schließt daher sinnvollerweise eine Reform des Vertragsgestaltung zwischen Verkehrsunternehmen und öffentlicher Hand mit ein, um das Gesamtsystem einfach zu halten.

2 | Skizze eines neuen Hintergrundsystems

Der Einsatz von Steuergeld im öffentlichen Verkehr ist grundsätzlich gerechtfertigt, da im und mit dem öffentlichen Verkehr gesamtgesellschaftliche Ziele verfolgt werden - zum Beispiel Mobilität auch unabhängig von Führerschein und Autobesitz anzubieten oder den Klimaschutz im Verkehr voranzubringen.

Der Einsatz von Steuergeld sollte dabei effizient und transparent erfolgen. Es sollten also möglichst geringe Overheadkosten abseits der eigentlichen Leistungserstellung anfallen und die eingesetzten Mittel öffentlich nachprüfbar sein. Denn nur mit transparentem Berichtswesen lässt sich der gesamtgesellschaftliche Wert des öffentlichen Verkehrs beziffern und der demokratisch-parlamentarischen Debatte über die Angemessenheit dieses Wertes zuführen. 

Das 49-Euro-Ticket hat es gezeigt: Welche Tarife es in Deutschland gibt, ist am Ende nicht Ergebnis betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern Ausdruck der gesamtgesellschaftlichen Wertschätzung öffentlichen Verkehrs: Welchen öffentlichen Verkehr und welche tariflichen Bedingungen wollen wir uns - mit Steuergeld - leisten?

Das neue Hintergrundsystem zielt darauf ab, diese Frage in Zukunft mit einer einfachen Rechnung beantworten zu können: Gesamtausgaben für Betriebsleistungen minus Gesamteinnahmen aus Fahrgelderlösen. In der Theorie geht das auch heute. Praktisch scheitert es aber an den oben dargestellten aufwendigen Vertragskonstrukten und dem Mangel an einer zentral zuständigen Stelle, um diese Daten zusammenzuführen.

(Gesamtausgaben für Betriebsleistungen) - (Gesamteinnahmen aus Fahrgelderlösen)
= Zuschussbedarf durch die öffentliche Hand

Diese Berechnung muss in Zukunft auf einen Blick möglich sein, um den gesamtgesellschaftlichen Wert des öffentlichen Verkehrs politisch einordnen und würdigen zu können.

Erster Schritt um das zu erreichen ist ein neuer Vertragstyp zwischen Verkehrsunternehmen und öffentlicher Hand. Er trennt das Thema der Fahrgeldeinnahmen vom Thema der Leistungsbestellung. Das Verkehrsunternehmen erhält eine Vollfinanzierung für seine Dienstleistung, wie beim Bruttovertrag. Die Fahrgeldeinnahmen werden jedoch nicht an den Aufgabenträger (den konkreten Vertragspartner des Verkehrsunternehmens auf Seiten der öffentlichen Hand) abgegeben, sondern bundesweit eingesammelt. Der so eingesammelte Betrag wird ergänzt um die bestehenden Regionalisierungsmittel (die bisher und auch in Zukunft aus dem Bundessteueraufkommen stammen) und zusammen als neue, höhere Regionalisierungsmittel an die Aufgabenträger ausgeschüttet.

Die Einsammlung des Fahrgelds erfolgt im neuen Hintergrundmodell durch eine bundesweite "Fahrgeldeinsammelstelle" (Arbeitstitel). Sie kann sogleich weitere Synergien nutzen, wenn mit der Reform der Finanzierung auch eine Reform des Vertriebs erfolgt: Da die Fahrgeldeinsammelstelle ohnehin alle Fahrgeldeinnahmen erhält, ist es naheliegend, dass sie in Zukunft auch den Vertrieb des Deutschlandtickets und seiner Erweiterungen selbst übernimmt. Verkehrsunternehmen werden so von ihren Vertriebsaufgaben entlastet, Parallelstrukturen werden abgebaut. Fahrgäste profitieren von einer deutschlandweit einheitlichen Vertriebsoberfläche. Die folgende Grafik zeigt den neuen Finanzierungs- und Vertriebskreislauf:

Hinweis: Bei Klick auf die Grafik gibt es eine Vergleichsmöglichkeit zum heutigen Hintergrundsystem.

3 | Zusammenfassung

Das neue Modell lässt Finanzierung, Tarif und Vertrieb sinnvoll ineinandergreifen und ermöglicht ein dauerhaft effizientes, transparentes und anpassungsfähiges Hintergrundsystem für den öffentlichen Verkehr in Deutschland. Ganz konkret bietet es vier Vorteile gegenüber dem heutigen System:

1

Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen werden entlastet und können sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren: Der Aufgabenträger kümmert sich mit seinem lokalen Know-How weiterhin um die Planung und Koordination der Betriebsleistungen, deren Bestellung bei den Verkehrsunternehmen und die Kontrolle der Vertragsdurchführung, etwa Pönalen bei Schlechtleistungen. Das Verkehrsunternehmen kümmert sich um die vertragsgemäße Durchführung der vereinbarten Betriebsleistungen. Keiner von beiden muss Fahrgeldeinnahmen in seiner Kalkulation berücksichtigen.

2

Die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs wird transparent: Der Defizitausgleich wird einmal bundesweit durchgeführt anstatt x-mal dezentral. Veränderungen im Steuermittelbedarf bei Veränderung des Tarifs oder des Leistungsumfangs werden in einer bundesweiten Summe transparent sichtbar und können in den demokratischen Prozess eingespielt werden: Nur wenn wir wissen, was der öffentliche Verkehr kostet, können wir informiert darüber entscheiden, was er uns Wert ist.

3

Die Verwaltung des öffentlichen Verkehrs wird günstiger: Sämtliche Einnahmeaufteilungsverfahren zwischen Verkehrsunternehmen, Verbünden und Aufgabenträgern können entfallen, da alle Fahrgeldeinnahmen zur zentralen Fahrgeldeinsammelstelle gehen. Das spart Kosten und macht das neue Hintergrundsystem deutlich effizienter gegenüber heute.

4

Der Tarif wird einfacher und schneller gestaltbar: Durch die Trennung der Fahrgeldeinnahmen von der Leistungsbestellung ziehen Tarifänderungen in Zukunft keine kleinteiligen Ausgleichsansprüche der Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger mehr nach sich, sondern verändern nur den Gesamtzuschussbedarf auf Bundesebene. Das ist wichtig für die Weiterentwicklung des Deutschlandtickets, etwa für die Einführung weiterer deutschlandweiter Fahrkartentypen (siehe hier) zum Vorteil der Fahrgäste. So gestalten wir die Verkehrswende anstatt uns in Verwaltungsverfahren zu verheddern.